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1989 wird nicht nur die STRABAG International GmbH zur Bündelung und Reorganisation des schwierigen Auslandsgeschäfts gegründet. Im Rahmen eines Konzernumbaus, der auf neue Marktgegebenheiten reagiert, werden die Unternehmensbereiche Hoch- und Ingenieurbau sowie Straßen- und Tiefbau getrennt und in weitgehend selbstständigen Betriebsführungsgesellschaften organisiert. Zum Konzern gehören außerdem die SF-Bau Gesellschaft für schlüsselfertiges Bauen GmbH, die STRABAG Österreich AG, die Deutag Asphalttechnik GmbH, die neu geschaffene STRABAG Umwelttechnik GmbH.

Dann fällt im November 1989 die Berliner Mauer – und mit ihr der „Eiserne Vorhang“, der bisher Osteuropa nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich weitgehend vom Westen abgeschnitten hatte. Als im Oktober 1990 die Deutsche Einheit vollendet wird, hat die STRABAG längst ihre Fühler in die „neuen Bundesländer“ ausgestreckt. Schnell und oft provisorisch werden Niederlassungen etabliert – in Güstrow, Potsdam, Cottbus, Eberswalde, Dresden, Leipzig und Magdeburg. Außerdem werden frühere DDR-Betriebe übernommen, etwa die Bau-Union Ostthüringen oder die Verkehrsbau Leipzig, oder neue gegründet wie die „Strabag Neubrandenburg Straßen- und Tiefbau GmbH“. Das Ziel ist klar, der STRABAG-Vorstand sieht in den „neuen Bundesländern“ einen milliardenschweren Nachholbedarf, von dem die STRABAG bestmöglich profitieren soll. Um sich für die Zukunft möglichst hohe Marktanteile zu sichern, ist schnelles Handeln entscheidend. So richtig diese Strategie ist – es kommt auch zu Fehleinschätzungen und vorschnellen Entscheidungen. Die gesamte Baubranche ist übermäßig euphorisch, lässt sich von einer Goldgräberstimmung mitreißen, die dem rationalen und streng kaufmännischen Kalkül nicht immer gerecht wird.

Straßenbahngleisbau Neue Messe Leipzig

STRABAG

Straßenbahngleisbau Neue Messe Leipzig

Die STRABAG stellt zwischen 1990 und 1994 nicht weniger als 4.000 neue Mitarbeiter:innen im Osten ein. Und sie entwickelt angesichts des enormen Aufschwungs durch die Tätigkeit im Osten ihre Konzernstruktur weiter: Die Unternehmensbereiche werden 1993 in Aktiengesellschaften umgewandelt, die unter einer Holdingstruktur organisiert sind. Gleichzeitig ändert sie ihren Namen: Aus der 1949 eingeführten „Strabag Bau-AG“ wird kurz und knackig – und in Großbuchstaben – die STRABAG AG.

Der Kater nach dem Rausch

Doch auch die neuen organisatorischen Strukturen halten mit dem rasanten Wachstum im Osten nicht mit – und auch nicht mit dessen raschem Abflauen. Ab Mitte der 1990er-Jahre ist manche Euphorie schon wieder verflogen, Überkapazitäten führen zu einem Preisverfall. Schlimmer noch: Mit dem Wiederaufbau des legendären Hotels Adlon nahe des Brandenburger Tors und der Sanierung des traditionsreichen Hotels im Dresdner Taschenbergpalais sichert sich die STRABAG zwei Prestigeobjekte, die sich im Laufe der Bauausführung als schwer beherrschbar herausstellen. Und: Auch die 1989 wieder aufgenommenen Bauarbeiten am irakischen Flughafen in Basra bescheren der STRABAG wegen zahlreicher Gewährleistungsarbeiten enorme Verluste, zumal nach Beginn des Zweiten Golfkriegs die Arbeiten wie auch die vom Irak noch zu leistenden Zahlungen wieder zum Erliegen kommen. Der 1996 in den Vorstand geholte Dr. Thomas Birtel und der 1997 zum Vorstandsvorsitzenden aufgerückte Dr. Jürgen Kuchenwald sehen sich gezwungen, ein hartes Restrukturierungs- und Kostensenkungsprogramm aufzulegen – und die Zahl der Mitarbeiter:innen in den „neuen Bundesländern“ zu halbieren. Dringend benötigte Finanzmittel werden mit dem Verkauf der STRABAG-Anteile an der DEUTAG AG an deren Mitanteilseigner Werhahn generiert.

Taschenbergpalais

STRABAG

Der Umbau des Dresdner Taschenbergpalais wie auch der des Adlon in Berlin zählen zu den komplexesten Bauvorhaben nach der Wiedervereinigung.

Start in eine neue Ära

Mehr noch: Die Unternehmerfamilie Werhahn, die 49,9 Prozent der STRABAG Aktien hält, denkt schon länger daran, sich ganz auf den Roh- und Baustoffhandel zu konzentrieren. Die schwierige wirtschaftliche Lage der STRABAG beschleunigt ihren Entschluss, einen Käufer für ihr Aktienpaket zu suchen. Sie findet ihn 1997 im österreichischen Bauunternehmer Dr. Hans Peter Haselsteiner. Mit seiner 1972 gegründeten Ilbau ist er Mehrheitseigner der Bauindustrie-Beteiligung-Gesellschaft BIBAG, die wiederum Hauptaktionär der in Kärnten ansässigen BAUHOLDING AG ist. Unterstützt von einem Bankenkonsortium unter Führung der Österreichischen Volks- und Raiffeisenbanken erwirbt die BAUHOLDING AG – und damit Dr. Hans Peter Haselsteiner – Anfang 1998 die Werhahn-Anteile an der STRABAG, inklusive der hoch profitablen STRABAG ÖSTERREICH AG. Die BAUHOLDING AG wird damit, und mit nun mehr als 33.000 Mitarbeiter:innen, zur Nummer sechs unter den europäischen Baukonzernen.

Wie strategisch klug Dr. Haselsteiner dabei vorgeht, wird schnell deutlich: Zur schnellen Integration der neuen Konstellation schickt er zwei österreichische Manager, Nematollah Farrokhnia und
Fritz Oberlerchner, in den STRABAG-Vorstand nach Köln. Er führt bewährte kaufmännische Strukturen und Prinzipien in Köln ein, etwa das Vier-Augen-Prinzip, wonach wichtige Entscheidungen immer von einem Ingenieur und einem Betriebswirt gemeinsam getroffen werden müssen. Vor allem aber geht es ihm nicht in erster Linie um maximale Rendite, sondern um das Bauen an sich. Völlig untypisch übernimmt er in der Folge den Namen STRABAG auch für seine BAUHOLDING AG und die in ihr organsiertes Tochterunternehmen inklusive der von ihm gegründeten Ilbau. Die internationale Strahlkraft des Namens STRABAG soll, so seine ebenso weitsichtige wie richtige Einschätzung, allen seinen Unternehmen zugutekommen.

STRABAG

Dr. Hans Peter Haselsteiner ist leidenschaftlicher Bauunternehmer mit großer Visionskraft.

STRABAG

STRABAG Hauptverwaltung in Köln-Deutz, mit dem weithin sichtbaren STRABAG-Balkenlogo, dass rd. zwei Jahre nach dem Einstieg der BAUHOLDING AG konzernweit eingeführt wird.

Ein gesunder David hat einen kranken Goliath übernommen.

Dr. Thomas Birtel
früherer Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzender der STRABAG AG sowie Vorstandsvorsitzender der STRABAG SE zur Übernahme der STRABAG durch die BAUHOLDING AG.